Wenn Veränderungen dich aus der Bahn hauen

Für den Wachstumsraum schreibt diesen Monat SANDRO

Kennst du das: du bekomst eine Nachricht, deren Inhalt dich komplett aus der Bahn wirft oder zumindest stark beunruhigt. Im ersten Moment glaubst du nicht, dass du richtig gehört hast und deine Reaktion ist Unglauben und Ablehnung. Leider bleibt es aber nicht dabei und deine Gefühle werden in den nächsten Stunde, Tagen und Wochen arg strapaziert und dir steht eine grössere Änderung bevor, die deine Emotionen auf eine anstrengende Achterbahnfahrt schicken wird. Was dabei genau passiert und warum es am nach dem Tal der Tränen immer bergauf geht, beschreibt die Verändungskurve nach Kübler-Ross(1969) bzw. die Weiterentwicklung davon durch Streich (2013).

Die Veränderungskurve nach Kübler-Ross wurde ursprünglich entwickelt, um die emotionalen Reaktionen von Menschen zu beschreiben, die mit einer schweren oder tödlichen Diagnose konfrontiert sind. Die fünf Phasen – Verleugnung, Wut, Verhandeln, Depression und Akzeptanz – beschreiben einen inneren Weg, den viele Menschen durchlaufen, wenn sie sich plötzlich mit einer dramatischen und unausweichlichen Veränderung auseinandersetzen müssen. Doch diese Phasen sind nicht nur für medizinische Krisen relevant. Sie finden auch in Lebens- und Arbeitskontexten Anwendung und helfen uns, emotionale Reaktionen auf unerwartete oder große Veränderungen im privaten oder beruflichen Leben zu verstehen.

In den 1990er Jahren haben die Berater Friedrich Glasl und später Klaus Doppler und Christoph Streich die Veränderungskurve auf sieben Phasen erweitert. Die sieben Phasen des Modells – Schock, Verneinung/Ablehnung, rationale Akzeptanz, emotionale Akzeptanz/Tal der Tränen, Lernen/Ausprobieren, Akzeptanz und Integration– bieten einen vertieften Blick darauf, wie wir uns mit Wandel arrangieren, loslassen und neu beginnen können. Zur Veranschaulichung haben wir die Geschichte von Emma gewählt. Sie ist eine langjährige Mitarbeiterin im Unternehmen, als sie erfährt, dass ihre Abteilung geschlossen wird und sie dadurch ihren Arbeitsplatz verliert. Emma war sich sicher, dass sie noch viele Jahre bei dem Unternehmen angestellt bleiben wird und als hochverdiente und immer sehr gut bewertete Mitarbeiterin vor solchen Fällen sicher ist. Die Nachricht trifft sie wie ein Schlag und führt sie komplett unvermittelt auf eine emotionale Achterbahnfahrt. Ihre Reise durch die Veränderungskurve beginnt.

Verändungerungskurve nach Kübler-Ross mit Erweiterung nach Streich

Phase 1: Schock

Der erste Moment der Erkenntnis ist für Emma ein Schock. Sie ist wie betäubt, ihr Kopf ist leer und sie spürt, wie sich eine kalte Angst in ihrer Brust ausbreitet. „Das kann doch nicht wahr sein“, denkt sie, unfähig, die Informationen zu verarbeiten. Diese Reaktion ist typisch in der Schockphase, in der sich das Gehirn erst auf die neue Situation einstellen muss. Das Wissen, dass das Leben, wie wir es kennen, sich unwiderruflich ändern wird, führt zu einem Gefühl der Lähmung und Unwirklichkeit. Dieser Schock ist eine Schutzreaktion des Körpers, die uns hilft, das Unbegreifliche in kleinen Schritten zu verarbeiten.

Phase 2: Verneinung, Ablehnung

Nach dem Schock klammert sich Emma an die Hoffnung, dass es ein Missverständnis ist oder sich das Problem von selbst lösen wird. Sie denkt, „Das ist sicher nur vorübergehend – vielleicht kann ich doch bleiben und es findet sich eine andere Stelle im Unternehmen für mich.“ Sie versucht, den Alltag wie gewohnt zu bewältigen, als wäre nichts geschehen. Verleugnung ist eine natürliche Reaktion, die uns hilft, die angsteinflößende Realität zu verdrängen und es uns ermöglicht, sich emotional auf die neue Situation vorzubereiten. Diese Phase kann Tage, Wochen oder sogar Monate dauern und zeigt sich darin, dass Menschen versuchen, an ihrem bisherigen Leben festzuhalten und die Veränderungen auszublenden.

Phase 3: Rationale Akzeptanz

Je mehr Emma jedoch von den Veränderungen erfährt, desto weniger kann sie die Realität verdrängen. Sie fühlt eine wachsende Frustration und Wut. „Nach all den Jahren, den vielen Nachtschichten, all den Überstunden und verpassten Momenten zuhause mit der Familie – das ist der Dank?“, denkt sie empört und spürt, wie Enttäuschung und Verletzung aufsteigen. Die Wut richtet sich nicht nur gegen das Unternehmen, das diese Entscheidung getroffen hat, sondern auch gegen sich selbst, weil sie vielleicht früher hätte vorsorgen sollen. Die Wut ist eine entscheidende Phase, denn sie lässt die emotionale Tiefe der Situation an die Oberfläche kommen. Diese Wut kann sich auch auf Kollegen richten, die möglicherweise nicht so stark betroffen sind, oder sogar auf das gesamte System, das sich in so einem Fall gegen uns zu wenden scheint. Hier zeigt sich das Bedürfnis nach einem „Schuldigen“, da es oft schwer zu akzeptieren ist, dass Veränderung oft unpersönlich und unkontrollierbar ist. Eine tiefergehende Bereitschaft, die eigene Situation zu akzeptieren ist noch nicht erkennbar bzw. vorhanden. Wir erkennen in dieser Phase erst, dass die bevorstehende Verändung unabdingbar sind.

Phase 4: Emotionale Akzeptanz oder auch das Tal der Tränen

Am tiefsten Punkt angelangt erkennt Emma, dass ihre ablehnende Haltung gegenüber der bevorstehenden Veränderung nicht den gewünschten Erfolg bringt. Sie anerkennt langsam, dass der Wandel unabdingbar ist und vielleicht sogar notwendig ist. Emma beginnt die Veränderung nicht nur rational zu verstehen, sondern auch emotional zu akzeptieren. In dieser Phase fühlen wir uns oft hilflos und im luftleeren Raum. Wir erfahren starke Gefühle der Depression und Trauer und entsprechend muss dieser Phase bei Veränderungen sei es im beruflichen aber auch im privaten Umfeld genügend Raum gegeben werden. Für Emma ist dies Phase auch ein Moment der Einkehr und des Abschiednehmens von der Realität, die sie jahrelang gekannt hat.

Phase 5: Lernen, Ausprobieren

Nach einer Weile beginnt Emma jedoch, sich allmählich an den Gedanken zu gewöhnen, dass es für sie eine Zukunft außerhalb des Unternehmens geben wird. Sie informiert sich über Weiterbildungsmöglichkeiten, spricht mit Freunden und Bekannten über berufliche Alternativen und beginnt, sich neue Optionen offen zu halten. Die Lern- und Ausprobierphase ist geprägt von vorsichtigen, kleinen Schritten, die auf den neuen Lebensabschnitt hinarbeiten. Wir testen, wie es wäre, beruflich neue Wege zu gehen, und entdecken erste Möglichkeiten, die uns motivieren können. Es  ist ein Zeichen für neues Vertrauen, auch wenn die Zukunft weiterhin unsicher ist. Wir beginnen zu spüren, dass wir langsam wieder handlungsfähig werden und unsere Motivation beginnt zu steigen. Wenn wir beim Lernen und Ausprobieren Hilfestellung durch das Unternehmen, Coaches oder ev. auch Freunde haben, führt dies zu einem schnelleren und weniger schmerzhaften Durchlaufen der Phase.

Phase 6: Neuorientierung, Erkenntnis

Schließlich gelangt Emma in die Phase der Akzeptanz. Sie hat den Verlust ihres Arbeitsplatzes akzeptiert und blickt mit vorsichtigem Optimismus auf das, was vor ihr liegt. Sie hat eine Weiterbildung ins Auge gefasst und beginnt, konkrete Pläne für ihren beruflichen Weg und ihr persönliches Wachstum zu schmieden. Erkenntnis bedeutet nicht, dass wir glücklich über den Verlust sind, sondern dass wir bereit sind, die Situation anzunehmen und neu zu beginnen. Diese Phase gibt den Raum für neue Perspektiven und den Mut, die Chancen für ein positives Wachstum, die vor uns liegen, aktiv zu gestalten.

 Phase 7: Integration

Emma hat erfolgreich eine Weiterbildung mit einer Spezialisierung in ihrem Berufsfeld begonnen und eine neue Stelle gefunden, die ihr mindestes ebenbürtige Anstellungsverhältnisse zum alten Arbeitsplatz bietet. Sie konnte sich gut in das neue Team integrieren und hat die Einarbeitungsphase souverän gemeistert. Auch im privaten Umfeld haben sich positive Veränderungen ergeben. Dadurch dass der neue Arbeitsort näher zum Wohnort liegt, muss sie weniger lang pendeln und gewinnt damit mehr Zeit für die Familie. In der Phase der Integration wird die Veränderung vollständig in den Alltag übernommen und die neue Situation wird für uns langsam zur Normalität.

 Nicht jeder Mensch geht mit Veränderung gleich um und wie wir darauf reagieren ist sehr individuell. Die einen durchlaufen die sieben Phasen schneller, andere benötigen mehr Zeit dazu, was auch wieder völlig ok ist. Auch durchleben wir die sieben Phasen nicht immer in der gleichen Reihenfolge und sie fühlen sich auch nicht für alle gleich an. Veränderungen bedeuten immer Abschiede und oft ungeplante Neuanfänge. Sie bieten aber auch immer die Chance zu (persönlichem) Wachstum und neuen spannenden Herausforderungen. Wir können erkennen, dass in uns ungeahnte Möglichkeiten und Stärken schlummern, die wir so gar nicht erwartet hatten.

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